Der Turnvater mit der Gitarre
Der Turnvater mit der Gitarre
Johannes Göbel trainiert seit gut fünf Jahrzehnten Kinder – nun sogar seine Enkelin.
Wäre der Titel nicht schon an einen gewissen Friedrich Ludwig Jahn vergeben, er hätte ihn verdient. „Das Turnen ist sein Leben“, sagt Cornelia Hohlfeld über ihren Vater, der für viele Mädchen und Jungen ein „Turnvater“ war und ist. Seit den 1950er-Jahren betreut Johannes Göbel Talente, erst in Freital, dann in Dresden. Seine neunjährige Enkelin Luisa gehört zu seiner Trainingsgruppe beim USV TU Dresden, auch Lucas (zwölf) und Lilly (zehn) gehen an die Geräte.
Wenn er heute im kleinen Kreis seinen 80. Geburtstag feiert, sind die familiären Erinnerungen mit vielen gemeinsamen sportlichen Erlebnissen verbunden. „Ich kenne meinen Vater nur in der Turnhalle“, sagt die Tochter, die folgerichtig wie ihr Bruder Michael von kleinauf turnte. Dass seine Kinder später in der Leichtathletik oder beim Taekwondo aktiv waren, hat Johannes Göbel nicht gestört; Hauptsache, sie trieben Sport. Im Sommer ist er mit ihnen als Betreuer ins Ferien-, im Winter ins Skilager gefahren. Sein größtes Glück ist es, Kindern und Jugendlichen etwas vermitteln zu können.
Nach dem Abitur stand er vor der angenehmen wie schwierigen Frage, welches seiner Hobbys er zu seinem Beruf machen sollte. Journalist wäre er auch gern geworden, aber auf seine Bewerbung zum Sportstudium erhielt er schneller die Zusage. Das Schreiben blieb ihm eine wichtige Freizeitbeschäftigung. So berichtet er seit vielen Jahren auch für die Sächsische Zeitung von Turnwettkämpfen in der Region.
Johannes Göbel hat mit dem Studium an der DHfK in Leipzig in den 1950er Jahren und seiner Tätigkeit als Sportlehrer und Trainer seine Berufung gefunden. Als Klaus Räder in den 1960er Jahren in Freital-Burgk mit dem Turnen begann, hatte er eine Tischlerlehre absolviert. Doch Göbel erkannte bei dem Jugendlichen noch andere Talente, setzte ihn bald auch als Übungsleiter ein. „Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt“, erzählt der 73-jährige Räder. „Er hat mich begeistert und überzeugt, auch zum Studium an die DHfK zu gehen.“ Obwohl er längst Rentner ist, bleibt er seinem Entdecker dankbar. „Ich habe 37 Jahre an der Lessing-Oberschule in Freital als Sportlehrer gearbeitet, und der Beruf hat mir bis zum letzten Arbeitstag Spaß gemacht.“
Weggefährten und frühere Schützlinge charakterisieren Johannes Göbel als sehr ehrgeizig. Sein Leitspruch in der Turnhalle: „Ihr seid nicht zur Kur hier!“ Ein zackiges „Sport frei!“ stimmt ihn froh. Doch bei allem Respekt ist er vor allem Vertrauensperson, Motivator, Vorbild. „Er hatte immer eine sehr gute, einfühlsame Art, eine Mannschaft zu führen“, meint Klaus Räder. Johannes Göbel ist zudem ein sehr geselliger Mensch, erzählt auch Klaus-Dieter Tillig:
„Wir haben nach dem Training gern noch ein Bierchen getrunken. Dann spielte ,Jannes‘ auf seiner Gitarre, und wir sangen gemeinsam.“ Die alten Volkslieder hat er ebenso drauf wie zotige Studentenhits.
Der 72-jährige Tillig gehörte zur Freitaler Riege, die Göbel in den 1960er-Jahren als Vorturner und Trainer zu Erfolgen führte. Gemeinsam waren sie zu Wettkämpfen jenseits der innerdeutschen Grenze, als die noch nicht mit Mauer und Stacheldraht die Sportlergemeinschaft trennte. „Im Juli 1961 turnten wir in Friedrichshafen“, erinnert sich Tillig. „Vorher mussten wir unterschreiben, dass wir in die DDR zurückkehren. Aber dortzubleiben war für uns überhaupt kein Thema. Wir hatten unseren Verein, die Familie. Für mich war klar, dass ich den Handwerksbetrieb meiner Eltern als Modellbaumeister weiterführe.“ Als sie nur wenige Wochen später an der Ostsee von der Nachricht überrascht wurden, durch Berlin werde eine Mauer gebaut, hielten sie das für einen schlechten Scherz. Der Gedanke, wären wir bloß drübengeblieben, sei aber höchstens kurz auf- gekommen. „Für uns zählten der Sport und die Freundschaft, beides hatten wir hier“, sagt Klaus-Dieter Tillig.
Johannes Göbel macht sich auch als Funktionär und vor allem als Organisator einen Namen. Zum „Windbergturnen“ in Freital kommen Sportler aus der ganzen Republik, die von ihm 1988 gestartete Dresdner Turnpokalrunde erlebte gestern das Finale ihrer 27. Auflage, und die von ihm nach der politischen Wende initiierte Serie „Turnen vor und jenseits der 50“ umfasst jährlich drei Wettkämpfe. Nach wie vor bewertet Johannes Göbel als Kampfrichter die Übungen. Im November beim Weinberg-Pokal in Pesterwitz war er zum 650. Mal als Juror im Einsatz. Seine Frau Ingeborg hielt ihm in all den Jahren den Rücken frei für sein berufliches wie ehrenamtliches Engagement.
Johannes Göbel gehörte selbst einst zu den erfolgreichsten Turnern im Bezirk Dresden, hat viele Titel gewonnen. Von 1958 bis 1971 war er Trainer und Sektionsleiter bei der BSG Stahl in Freital, von 1981 bis 1989 Sportlehrer an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden, danach an der Technischen Universität. Johannes Göbel hat mit einigen Studenten-Generationen geturnt. In der Seniorenriege des USV hält er sich selbst weiter mit Gymnastik fit.
Als ihm der Arzt vor ein paar Jahren sagte, er müsse sich die Hüfte operieren lassen, sonst könne er bald nicht mehr in der Turnhalle stehen, zögerte er keinen Moment. „Er kann nicht sein ohne das Turnen“, sagt Tochter Cornelia. Und deshalb ist der wichtigste Wunsch für den Jubilar, noch viele Jahre aktiv bleiben zu können.